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Szenenwechsel – Zwischenfazit

Nicht, dass wir uns die letzten Tage gross mit der Frage herumgeschlagen hätten, welcher Wochentag es grad ist.. Nebenbei: diese Art von Sellbstvergessenheit deutet auch an, wie stark wir diese Wochen im Jetzt leben, was übrigens wissenschaftlich ein Teil der Glücksdefinition ist; heute ist es Freitag. Aber vor allem ein Glückstag, ein Sonnentag, ein Transittag.

Nach genau einer Woche im Umkreis von Nizza hiess es heute zurück- und umsteigen in unseren geräumigen Tourbus. Wir haben sensationelle Tage hinter uns, zuerst im Hotel la Vague in Saint-Paul-de-Vence und später im Haus Albin in Tourrette-sur-Loup.

Der grossen Fee hinter beiden Adressen, die uns nach allen Regeln der Kunst durch Transportdienste, Kochen, Zuhören und -reden, Einkaufen oder Waschen unterstützt und verwöhnt hat, gebührt unser allergrösster Dank; merci beaucoup chère Henriette!

Für die nächsten zwei Tage wird Sault unsere Basis sein, auf dem Weg dort hin werden wir aber vorher auf je zwei Rädern die Pässe Col d’Ayen und Col de l’Olivier geniessen.

So schwierig es fällt, inmitten eines monatigen Grossprojektes ein treffendes sowie intelligentes Fazit zu ziehen, so locker nehmen wir es hier, stichwortartig ein unzutreffendes und tumbes zu versuchen. Was also sind die wichtigsten Ertkenntnisgewinne? Hier eine ungewichtete, unvollständige Liste ohne Rangfolge:

– Wir nehmen das Leben auf eine neue, andere Art wahr. Als wunderbar und unendlich vielschichtig.
– Die Hälfte der 101+ Pässe werden wir morgen gefahren sein.
– Unsere Freundschaft, die zwischenmenschliche Harmonie, die gegenseitige Unterstützung und Toleranz bedeuten uns sehr viel.
– Unsere bereits euphorischen Erwartungen sind auf allen Ebenen bei Weitem übertroffen.
– Unsere gefahrene Gesamtdistanz wird zum Ende rund 1’000 km über Plan ausfallen.
– Frankreich müsste in Waldreich umgetauft werden. Oder Passreich.
– Wir erleben, gemeinsam und einsam, viele wunderschöne Momente in innerer Ruhe.
– Der Abenteuercharakter unserer Reise, auch mit Ungewissheiten, ist aufregend.
– Unser grösster Luxus ist es, das Privileg zu haben, das alles erleben zu dürfen.
– Wir sind bestärkt darin, dass man sich selber viel zumuten darf.
– Die engen Täler (er)öffnen uns den weiten Blick auf die Welt.
– Wir leben ganz gut einmal ohne (oder mit wenig) Berufsalltag.
– Anfängliche körperliche Bobo’s sind verschwunden durch die hohe Belastung; der Mensch wächst am Widerstand.
– Wir erleben malerische Dörfchen, perfekt eingebettet in ihrer jeweiligen Landschaft.
– Unsere Laune und Motivation ist immer noch höchstklassig.
– Wir erfahren täglich immer wieder neuartige Pass- und Gefühlshöhepunkte. Und das Gegenteil von beidem.
– Attaque!

In der Zwischenzeit, es ist nun etwas vor 14:00 Uhr, haben wir wieder 50 sehr abwechslungsreiche Kilometer in den Beinen, im Herzen und im Kopf. Ausgangspunkt war das Verdongebiet, das ich aus meinem Vorleben als Freeclimber kenne. Vom schmucken Dörfchen La Palud sur Verdon ging es über sanft gewellte Strassen auf den ersten Pass, um später, in ein auf unserem Trip bisher nicht gesehenes Szenaruim, ein grossartiges Bühnenspektakel, eine Art atemberaubende Naturarena einzutauchen; das Verdontal präsentierte sich in seiner gewaltigen Dimension. Viele hundert Meter tief, weit unten lag der Fluss mit seiner Talsohle. Vis-à-vis zeigten sich die enormen, teilweise senkrechten und überhängenden Wände, viele davon sehr gut geeignet zum Klettern, weiter hinten die noch viel höheren Bergmassive, am Ende des Tals tauchten die türkisblauen Stauseen auf und wir durften am steilen Gegenhang auf einer quirlig geschwungenen Strasse das Loch runter donnern.

Etwas später der zweite giftige Pass, der ein paar Kilometer durch einen Nadelwald führte. Das kleine Bist war derart steil (16%), dass ich mir a) immer mal wieder einen leichteren Gang wünschte, ich b) weil der Wunsch nicht in Erfüllung ging, im Wiegetritt fahren musste und c) ich in eine derart starke Schnappatmung geriet, wie noch nie die letzten zwei Wochen. Auf genau 800 m.ü.M. streckten wir unsere Köpfe aus dem Wald heraus, um auf einer gigantisch weiten Hochebene zu landen; Lavendel, so weit das Auge reicht…

Von hier aus circa 10 km lang geradeaus, was wir schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr hatten. Wie es schien, spürten wir den Kraftzuwachs der letzten Tage, gelang es doch relativ leicht, im horizontalen Gelände zwischen 35 und 49 km/h schnell zu knallen. Weitere vergnügliche Kilometer dem See entlang und nun wieder im Bus.

Die Hotelanlage mit seinen vielen kleineren Häusern in Sault, wohl aus den Sechzigerjahren, mit gutem räumlichen Gefühl in die Topografie gebettet. Unsere grosszügigen Refugien mit Entrée, WC, Bad (inkl. programmierbarer Mehrdüsenmassagedusche und Sprudelbadewanne), Livingroom, Balkon mit prächtigem Blick in die Landschaft und Schlafzimmer, sicher über 50 m2 gross. Interiordesign zum Schmunzeln, plüschige Stoffmustersofas in einem Streifenmix aus Lavendel(!), Weinrot und Orange, Möbel in Violett-Grau-Kombination.

Jetzt gibt es dann den obligaten Apéro und nachher essen wir im eigenen Restaurant.

Ich selber bin trotzt der bisher riesenbergenhaften Menge an Erlebnissen, Eindrücken, Emotionen, Erkenntnissen, Freuden und Erfahrungen immer noch gleich dankbar, motiviert und neugierig auf das Bevorstehende, wie vor zwei Wochen. Und ich bin sicher, mes trois copains sehen das genau so!