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Von der Gelassenheit…

… der beiden Grandseigneurs. Und eines vielversprechenden Jungen, der gleichfalls beeindruckt.

Nun, ich kann hier, möchte ich Ihnen hochverehrte Leserschaft nicht noch mehr auf die Nerven gehen, nicht immer nur von meiner Optik sprechen, die Dinge nur durch meine Brille betrachten und alles derart aufwendig, selbstreflektierend und ja, ich weiss, leider(!), leicht pädagogisch-edukativ, kommentieren.

Dieser Bericht heute soll einmal v.a. von meinen drei perfekten Begleitern und Freunden handeln. Wenn ich sie beschreiben müsste, gäbe es logischerweise viel zu sagen, haben doch zwei davon wohl über die Hälfte ihres irdischen Daseins durch, zudem unglaublich viel geleistet, vollbracht, erwirkt und erreicht und der Jungspund der Truppe, für sein zartes Alter noch vielversprechender, muss hier gar nicht hintenanstehen. Darum möchte ich diesen Tagesre- und rapport einmal „lediglich“ aus der Perspektive und Erfahrung der letzten paar Wochen verfassen, um damit vielleicht ein neues Licht auf die Persönlichkeiten, Eigenheiten und Qualitäten der drei Kerle zu werfen.

Ganz im Sinne von „Zeig mir Deinen Schuhschrank…“, „Sag mir welches Auto…“, „Erzähle mir, was Du isst…“, „… und ich sage Dir wer Du bist…“, möchte ich etwas Ähnliches versuchen bezüglich Fahrradtechnik und Tourbusfahren.

Der eine etwas längere Gentleman fährt einen recht grossen Rahmen Berliner Provenienz, vom Namen her könnte das ein italienisches Produkt sein, schlichte anthrazit-schwarze Farbgebung, ausser den von seiner charmanten Frau(!) später dazu gekauften Carbonrädern nichts komplett Durchgeknalltes, könnte, räusper, auf den ersten Blick auch aus dem Kaufhaus sein, Geometrie so eingestellt, dass es nach Chopperfeeling ausschaut, auf dem Oberrohr drei kleine Kleber, die an vergangene Tortouren erinnern.

Im Fahrstil eine unendliche Ruhe ausstrahlend. Letzteres kommt von der eher gemächlichen Kurbelumdrehfrequenz, die aber dermassen elegant, gelassen, mit bildlich gesprochen erhobenem Haupt, ja souverän geleistet wird, dass man gerne lange zuguckt. Kombiniert mit den nicht enden wollenden Beinen, Nadja Auermann würde eifersüchtig werden, gepaart mit einer cancellaraartigen Muskulatur, die richtig Dampf auf den Kessel bringt, ist dieser Herr der Inbegriff von stets gut gelaunter Ruhe. Dieser Mann ist dermassen zentriert, vertrauensvoll und grundlos fröhlich, dass ich ihm, hätte ich mit Wohnsitz Zürich 50 Lottomillionen gewonnen, meinen Lottozettel ohne weitere Schriftlichkeiten überreichen würde, sodass er die Sache bitteschön in seinem (fiktiven) Wohnort Zug versteuere und wir die paar damit ersparten Fränkli dann teilen.

Das zweite Mannsbild ganz anders. In seiner Art etwas bulliger, präsenter, extrovertierter, energetischer, was z.B. an seinem typischen Armschwung, besonders beim langsameren Gehen, erkannt werden kann. Er fährt natürlich verschiedene Gefährte, mindestens zwei davon sind gewissermassen Klone voneinander. Die Marke hat einmal ein lustiger, erfolgreicher Hörgerätehersteller und Lebemann gegründet. Die eine der beiden Maschinen ziert ein rot, das man ferrarirot, testarossarot, feuerrot nennen müsste. Die andere ist matt, elegant, schwarz gehalten. Klar, sind beide Boliden nur mit den edelsten Komponenten bestückt; mehr geht quasi nicht.

Der Fahrstil hier im Ausdruck, nicht in der Fahrweise, ziemlich aggressiv, kämpferisch, angriffig, was Sicherheit, Schutz und übersprudelnde Energie anzeigt. Hier sind veritable Knackwaden zu sehen, schauen Sie sich nur das gestrige Tagesbeitragsbild an, die jeden Tag während unserer Tour noch etwas austrainierter daherkommen; sehnig, adrig, drahtig, muskulös. Müsste ich einen komplexen mehrteiligen und -sprachigen Parcours, welcher körperlicher und geistiger Disziplinen auch immer bestreiten, das hier wäre mein idealer Copin. Er sieht nicht in erster Linie Probleme, sondern interessiert sich für die Lösungen. Und kennt sie auch.

Beiden Hochleistungssportlern ist das selbe Baujahr eigen, beide sind sie hochanständige, gut erzogene Jungs von hoher Bildung, breit abgestütztem Kulturverständnis und bestem Umgang. Beide sind unbeschreiblich hilfsbereit, führsorglich und grosszügig.

Wenn ich wieder einmal Batterieprobleme habe und vorne ausschere, wird sofort Hilfe angeboten, wenn es nur noch ein bisschen Salat in der Schüssel hat, den nicht einmal ich bestellt habe, wird mir der Konsumationsvortritt gelassen, wenn wir an einem neuen Ort in ein neues Restaurant zum Essen gehen und ich vor dem Platznehmen dem Wirt erkläre, dass heute ich bezahle, bekomme ich einen schmunzelnden Kommentar, das sei bereits erledigt, wenn mich eine unvermittelt auftretende Ergriffenheitskrise befällt, schenken sie mir ihre tröstende Schulter, wenn wir weiterreisen, sind die nächsten Hotels bereits gebucht (und bezahlt; inkl. petit déjeuner!), wenn bei den kommenden Etappen Details justiert werden müssen, ist das bereits geplant,…

Der dritte sehr zentrale Mensch in meinem Leben der letzten Wochen ist ein äusserst positiver Tausendsassa. Umso mehr er jeden Tag auf andere Arten strampelt als wir, möchte ich Adrien unbedingt gleichwertig und -berechtigt erwähnen. Mit seinen juvenilen 21 Jahren, ein Bursche höchster Selbsständigkeit, engagiert, interessiert, wach, intelligent, führsorglich, integer, zuverlässig, hilfsbereit, offen, konzentriert, guterzogen, mehrsprachig (er lernt mit uns gerade Deutsch!), freundlich, reif und stets gut gelaunt: Im Namen von uns drei Knackis ein ganz dickes Dankeschön! Ohne Dich ginge das alles nicht und Du machst das exzeptionell!

Lieber Norbert, lieber Gion, lieber Adrien! Ich bin euch allen dreien sehr verbunden und dankbar, dass ich dieses doch auch ein wenig durchgeknallte, crazy Projekt mit euch erleben darf; ich fühle mich sehr privilegiert dabei. Es macht mir Eindruck und Spass, von eueren Lebenseinstellungen, euerem Humor, den Erfahrungen, eueren Sichtweisen und euerem geistreichen Spirit profitieren zu können. Ich habe euch fest in mein Herz geschlossen. Grazie Mille!

Als Erstes hiess es heute wieder, nur in velofahrerischer Hinsicht unverrichteter Dinge, weg von Andorra. Immerhin haben wir vom gestrigen Wirt erfahren, dass es alleine im Kleinstaat mindestens 11 schöne Velopässe gäbe und die ganz sportlichen Menschen das Gesamtoeuvre in einem einzigen Tag bewältigten…

So geht es hier also bald wieder auf französischem Boden los. Beinahe das Einzige, was mich beunruhigt; zurzeit stahlblausonnig – der Wetterbericht spricht von Gewitter. Also dann: vitvit-rapidement!

Und Sie wissen: sobald ich wieder in unserem fahrenden crossmediacenter sitze, gibt es mehr Informatonen…

Wen wundert’s; auch heute ging es wieder vom ersten Meter an erbarmungslos rauf. Unser erster col könnte man so beschreiben: „Schliessen Sie einmal die Augen, stellen Sie sich vor, Sie seien ein Riese mit, sagen wir etwa 200 m langen Füssen und jetzt spazieren Sie eine kleine Podesttreppe hinauf mit etwa sieben Stufen“; voilà, schon haben wir den ersten Teil unseres Tagespasses Nr. 1. Er zeichnete sich tatsächlich durch diese Analogie aus, lag er doch räumlich, beinahe, in der Falllinie des Hangs, hatte, um im Architektentreppenplanungsslang zu sprechen, ideale Masse, Verhältnis Auftritt zu Steigung 3:2 und war entsprechend mit sieben Mal aus dem Sattel gehen bewältigt. Unser Film auf instagram zeigt übrigens eine typische Szene genau von dieser Stelle. Als ich da raufkletterte die Titelidee zu einem neuen Tagesbericht; Systematik und Typologie von Fahrradpassstrassen. Komischerweise im Internet so noch nicht vorhanden…

Weiter oben dann der Austritt aus dem engen Wald in eine Alpenlandschaft unendlicher Schönheit; wer wäre in der Lage, so etwas zu erschaffen? Grandezza, Innehalten, auf dem 1’570 m hohen col d’Agnes Krokusse fotografiert (unser heutiges Titelbild), Andacht, ökumenische Ruhe im geografischen Wortsinn.

Nach kurzer Abfahrt auf einer sympathischen Geländeschulter zum erst zweiten Mal auf unserer Reihe eine geöffnete gastronomische Einrichtung des Typus Berghütte, wo es in sehr entspannter Atmosphäre, ohne Eile, dafür mit wärmendem Infrarot auf dem Gesicht, mit jeder Faser unseres Daseins einen café au lait „inhaliert“.

Ein paar Kurven runter, zwischen Horden weisser kleiner Kühe und Rudeln picknickender Pensionäre durch, und mich gefragt, welche dieser Gruppierungen uns den netteren, entspannteren und wacheren Blick zuwendet.

Topografie komplexester Abwicklung, Engstellen, Weitblicke, Fokus, Sichtachsen, Intimität, Weltoffenheit, Himmel, Erde und der nächste Pass. Heute scheint mir, ist der Druck etwas draussen aus unserem Projekt. Es ist wohl allen egal, ob es jetzt noch einen oder zwei dazu gibt; ist das auch dem heutigen Titelbegriff zuzuschreiben?

Auf der anderen Seite, es fühlte sich an wie eine 20 km lange, steckengerade, sehr steile Rampe, mit zunehmend schmerzenden Händen das Massiv runtergebremst und am nächsten Gegenhang gleich wieder hoch. Was sonst!

Und genau hier ist mit einem einzigen Windstoss, auf emotional berührende Art heute der Herbst hereingebrochen! Hunderte, mehrheitlich braune, Blätter fallen wie Riesenschneelflocken auf den Strassenbelag, verleihen ihm eine christohaft-transformative Verkleidung sehr haptischer Natur, erzeugen beim Drüberrollen ein sanftes, melancholische Knistern, wie wenn es lauter kleine Pergamentsäcklein wären, wunderschön zarte Akustik, eine Melodie von Vergänglichkeit und Metamorphose. Ist das nun das Sinnbild für den Herbst unserer Reise?

Verschiedenen Flussläufen entlang, mal tief, wild, gesteinsbrockengesäumt, wasserreich, dann wieder flacher, breiter, kultivierter. Bis zum nächsten Landgasthof, der dieses Bezeichnung wirklich verdient.

Meine drei Freunde am dinnieren, ich zurzeit am tippen auf meinem superpraktischen i-Pad, bei der für unsere Truppe mittlerweile traditionellen, für mich wie neu entdeckten, hochgeschätzten Käserunde werde ich informiert um mich da einzuklinken. Darauf freue ich mich nun wirklich.

Jetzt zählen wir die Tage. Ich habe vorher vielleicht zum letzten Mal von Hand Trikots auswaschen müssen…